31. December 2021 - 8:44
Das wäre nun die Gelegenheit über all das zu schreiben, was an diesem Jahr beschissen war und nicht gut gelaufen ist. Zum Beispiel darüber, wie ärgerlich es für alle Aktiven, Besitzer und Züchter ist, dass einige Rennvereine immer noch nicht bereit sind, das Rennpreis-Niveau zumindest wieder auf „vor Corona“ anzuheben. Dass Anfang der Grasbahn-Saison versäumt wurde mit entsprechenden Maßnahmen genau in das Loch zu stoßen, das mit den unattraktiven Fußball-Übertragungen vor leeren Stadien entstand um mit den durchaus stimmungsvollen Livesendungen ein neues und breiteres Publikum für den Sport einzunehmen. Dass das Thema Tierschutz groteske Züge angenommen hat, u. a. brauchen Pferde ein psychologisches Gutachten bevor sie eingeritten werden. Eine ansonsten wenig einfallsreiche Politik entdeckte die immer zahlreicher werdenden Tierschützer als das neue Wähler-Klientel und für Stimmen wird mittlerweile alles absegnet. In Deutschland gibt es laut Google-Auskunft etwa 1,1 Millionen Pferde, ca. 7.300 Reitvereine, in etwa 6,8 Milliarden Umsatz in der Pferdewirtschaft und natürlich nicht zu vergessen, tausende von Arbeitsplätze. Aber das scheint alles ohne Bedeutung zu sein denn die Verantwortlichen aller Verbände knickten ganz offensichtlich ohne große Gegenwehr schnell ein. Auf Nachfrage hieß es, wir sollten froh sein, dass es „nur soweit gekommen ist“ und die Ausübung von Pferdesportarten überhaupt noch gewährleistet ist – zumindest vorerst.
In jedem Lebensbereich, in jeder Branche gibt es schwarze Schafe aber das wird sich mit keiner noch so scharfen Maßnahme verhindern lassen. Auch nicht wenn alle Menschen, die ihr ganzes Leben mit viel Herzblut den Pferden widmen, nun als potentielle Tierquäler stigmatisiert werden einfach nur aufgrund der Tatsache, dass sie eines besitzen, trainieren oder züchten.
Die Liste der unerfreulichen Dinge ließe sich noch beliebig fortführen aber wir wollen lieber über Dinge schreiben, die uns Freude gemacht haben und auch Hoffnung geben.
Das sind dann zum Beispiel so Geschichten wie die von Wim, Marie-Louise, sowie den Söhnen Frank und Mario de Zwart, einer Familie aus Oud-Beijerland, welcher die Rennsportbegeisterung von ihrem Vater, bzw. Großvater, einem holländischen Handicapper, in die Wiege gelegt wurde. Novellist und Protectionist hatten es ihnen besonders angetan und als Australian Bloodstock 2016 Wild Max syndikatisierte, verwirklichten sie ihren Traum vom - fast - eigenen Pferd, kauften sich einen Anteil und kurze Zeit später beteiligten sie sich auch gleich noch an Revelstoke. Fortan bestimmten Renntermine das Familienleben und als beide Pferde am gleichen Tag an unterschiedlichen Orten an den Ablauf kamen, wurden die Aufgaben sogar geteilt - „die Jungen“ begleiteten Revelstoke nach Mailand und „die Alten“ fuhren mit Wild Max nach Baden-Baden. Aber die Familie wollte ihre Pferde nicht nur auf der Rennbahn sehen, sie kam auch regelmäßig die 300km nach Ravensberg gefahren um die Vierbeiner mit Karotten und unsere Mitarbeiter mit holländischem Gebäck zu verwöhnen. Irgendwann wollten sie aber mehr, machten sich auf die Suche nach einem eigenen Rennpferd und wie soll es anders sein, es wurde eine Protectionist-Tochter. Quaranta - schon als Jährling eine echte Wuchtbrumme und ein spätes Mädchen. Aber gerade als das „big baby“ endlich Fahrt aufnahm, musste die Stute leider nach einer Verletzung aufgegeben werden. Beim ersten eigenen Pferd war das natürlich ein traumatisches Erlebnis aber von einem unerschütterlichen Seefahrer-Volk stammend, ließen sich die De Zwarts davon nicht entmutigen und machten sich erneut auf die Suche nach einem Familienpferd. Pfingstberg, ein wirklich attraktiver Protectionist-Sohn aus der Peace of Paradise sollte es werden aber da hatte Australian Bloodstock den längeren Atem und so wurde es die von uns gezogene Taiora, welche nun die holländischen Interessen vertritt. So weit, so gut. Richtig überrascht waren wir dann allerdings als den Trainer die Anfrage erreichte, ob es denn eine gute Entscheidung wäre, sich um die von Protectionist tragende Peace of Paradise, welche bei Arqana unverkauft den Ring verließ, zu bemühen. Der Familienrat hatte getagt und das nächste Rennpferd soll nicht gekauft, es soll aus eigener Zucht stammen. Danach ging alles ganz schnell. Die Verhandlungen mit Herrn Delius waren unkompliziert, ein Transport von Frankreich wurde organisiert, PoP - wie die Stute genannt wird – steht wieder mit Izzy und Wengernalp auf Ravensberger Wiesen und die De Zwarts tüfteln nun zu Hause an der bestmöglichen Verbindung um ihrem gemeinsamen Traum, ein selbstgezüchtetes Pferd in den eigenen Farben an den Start zu bringen, wahr werden zu lassen.
In nicht gerade rosigen Rennsportzeiten so unbeirrbar den Weg vom Anteilseigner zum Besitzer und nun auch Züchter zu gehen und sich mit so viel gemeinsamer Freude den Glauben an diesen Sport zu bewahren, ist dieses Jahr für uns persönlich ein echtes Highlight. Wie auch jeder andere Besitzer am Stall, der bereits so viele Nackenschläge einstecken musste, dass man beim Schreiben der monatlichen Trainingsrechnung schon Gichtanfälle in den Finger kriegt, sich aber dann auf der Jährlingsauktion in eine wunderschöne Stute verliebt, alle Zweifel einfach wegpackt und wieder träumt, dass alles gut wird. Gäbe es genau diese Menschen nicht, wären im Sport schon längst alle Lichter aus.
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ - der Neubeginn in Iffezheim und Bremen. Ebenfalls etwas, das uns in diesem Jahr außerordentlich gefreut hat. Beide Veranstalter hatten mit den unterschiedlichsten Widrigkeiten zu kämpfen aber sie bewiesen Mut und Zähigkeit, ihr Enthusiasmus nahm viele Zweifler mit und Unterstützer finden. Verträge, Geläuf, Toto-Lizenzen, Personal, die vielen Gebäude, Tribünen, Wege, Zufahrten, Gaststallungen – alles Baustellen, um die sich monatelang gekümmert werden musste. Dazu 1000 andere Dinge wie Feuerlöscher, Programmdruck, banale Dinge wie Klopapier in den Gasttoiletten, Werbung, Presse, Versicherungen und so weiter und so weiter. Aufgaben, die einem zuweilen über den Kopf wachsen weil jedes Mal etwas Neues auftaucht sobald man die eine Sache erledigt hat, es kein Ende zu nehmen scheint und einem noch kurz vor Beginn etwas auffällt, was dringend behoben werden muss. Aber als sich dann wirklich die Boxen zum ersten Rennen öffneten, die große Begeisterung des Publikums zu spüren und die Aufbruchstimmung direkt greifbar war, wurde jeder der Beteiligten für seinen Glauben an die Sache belohnt. Mit diesem Gefühl gehen Iffezheim, wie auch Bremen, in die nächste Saison und werden alles daran setzen, beide Bahnen wieder so zu etablieren als hätte es ein „Aus“ nie gegeben. Tolle Geschichte und sie zeigt, dass mit einfach mal anpacken, wirklich etwas bewirkt werden kann.
Ein paar schöne Erfolge gab es auch noch, über die man sich freuen konnte. Allen voran natürlich Palmas' beeindruckender Sieg im Preis der Diana. Diese stets so unkomplizierte und freundliche Lord of England-Tochter aus Etzeaner Zucht auf ihrem Weg zu begleiten, hat allen Beteiligten viel gegeben. Liest jemand täglich die Racing Post und gibt an guten Renntagen die Fernbedienung nicht aus der Hand um auf ITV nichts zu verpassen, muss er ein Faible für den englischen Rennsport haben und dann gerade dort mit Axana in den Farben von Team Valor und Cayton Park Stud ein Gruppe III-Rennen zu gewinnen, zählt sicherlich auch zu den Highlights in diesem Jahr. Finanziell nicht ganz so wertvoll aber nichtsdestotrotz ließ der Sieg von Estacas in einem Bumper-Rennen ebenfalls alle Beteiligten jubeln. Dieser Galileo-Sohn aus Fährhofer Zucht startete seine Rennkarriere genauso ungewöhnlich wie sein bisheriges Leben war und wir sind sehr gespannt, wohin sein Weg führt.
Was Sportlichkeit und Fairness betrifft, ist der Trainer seiner Frau weit voraus und wenn sie dann rumnölt, warum dieser Idiot schon wieder so ein großes Rennen gewonnen hat, fragt er ganz entspannt, warum, das war gut gemacht, oder, ist doch ein tolles Pferd. Bei einem „Fremd-Sieg“ dieses Jahr waren allerdings beide total aus dem Häuschen – Sisfahan im Deutschen Derby. Vertraut mit Details aus dem Zuchtbereich gibt es bestimmt Leute, die das genau wissen aber wir würden mal sagen, dass es in Deutschland noch nicht ganz so oft vorkam, dass ein deutscher Deckhengst gleich mit dem ersten Jahrgang den Derby-Sieger stellen konnte. Mit Isfahan's Halbschwester Izzy wollten wir diese so erfolgreiche Verbindung mit Lord of England erneut aufleben lassen aber leider verfohlte Izzy vor ein paar Wochen, ohne dass herausgefunden werden konnte, warum.
Last but not least – der größte Grund zur Freude dieses Jahr ist der Trainer selbst. Wenn man ihn sieht, wie er die 42 Thuja-Würfel entlang der Bahn zentimetergenau mit dem Teleskop-Schneider bearbeitet, Stunde um Stunde unbeirrbar Loch für Loch auf der Grasbahn verfüllt oder er hoch oben auf einer Arbeitsbühne mit der schweren Baumschere Äste schneidet, wird nicht denken, dass er vor nicht allzu langer Zeit erst einen Herzinfarkt hatte. Jede Nachuntersuchung war bis jetzt top und seine Ärzte sind sehr zufrieden. So soll es weitergehen!
Jede Branche hat mittlerweile mit dem Mangel ans Arbeitskräften zu kämpfen und dass im Rennsport, wie in jedem anderen Beruf, in dem Menschen oder Tiere 365 Tage im Jahr betreut werden müssen, macht die Sache nicht leichter. So gilt unser Dank auch der Mannschaft, die sich jeden Tag wieder der Herausforderung ihrer Aufgaben stellt. Wie auch all jenen, die uns dabei unterstützen, dass es den Pferden gut geht.
Bleiben Sie gesund und bewahren Sie sich die Freude an diesem schönen Sport!
Ihr Rennstall Wöhler