30. December 2022 - 16:27
200 Jahre Deutscher Galopp – bestimmt eines der präsentesten Themen in diesem Jahr und wenn man bedenkt, mit welchen Widrigkeiten der Rennsport seit Jahrzehnten zu kämpfen hat, scheint auch er das Stehvermögen zu haben, für welches die deutsche Zucht bekannt ist.
Es kann natürlich nicht nur einer sein, der die Geschicke lenkt, die Aufgaben sind verteilt und auch jeder Rennverein, Besitzer, Trainer und alle anderen Aktiven für sich, tragen ihren Teil dazu bei, dass die Flotte einigermaßen fahrtüchtig bleibt.
In diesen 200 Jahren fährt nun auch schon seit 50 Jahren ein Schiff mit, das zwar ebenfalls schon einigen Stürmen ausgesetzt war aber trotzdem stetig weiterfuhr – Rennstall Wöhler. 1972 von Adolf Wöhler gegründet als er seine Tätigkeit als Trainer in Bremen aufnahm und seit dessen Tod 1986 von Andreas Wöhler weitergeführt. Beide waren – aus unterschiedlichen Gründen – in ihren Anfängen auf sich allein gestellt aber sie hatten beide ein und denselben Unterstützer, Walther J. Jacobs. Sein starker starker Charakter, seine Integrität und sein Weitblick lassen ihn in heutigen Zeiten, in denen Schein und Sein oft ganz unterschiedliche Dingen sind, wie eine Ikone wirken. Er stand erst dem Vater und dann dem Sohn nicht nur mit Rat sondern auch mit sehr viel Tat zur Seite und ohne ihn würde es den Rennstall Wöhler in heutiger Form vielleicht gar nicht geben.
Er wirkt ja im Umgang mit Menschen mitunter etwas spröde und ist damit bestimmt nicht jedermanns Fall aber für den Trainer steht halt einfach immer das Pferd im Vordergrund und erst danach kommt alles andere. Das kann bedeuten, dass er das ein oder andere Mal eine für den Wetter unpopuläre Entscheidung trifft weil ein Start an diesem Tag eben einfach nicht das Beste für das Pferd wäre und wenn er dafür anschließend in den „sozialen“ Medien – natürlich anonym – beschimpft wird, dann kriegt er davon definitiv keine Kopfschmerzen. Er will sich von niemanden unter Druck setzen lassen oder Dinge tun, die nicht seiner Philosophie entsprechen und so schlecht scheint er damit nicht gefahren zu sein - etwas über 2.300 Siege und eine Gewinnsumme von knapp 58 Millionen Euro in In- und Ausland sprechen dafür.
So wie für den Vater immer wieder mal Familien-Pferde am Start waren, liefen und laufen auch für den Sohn Pferde in den eigenen Farben, zum Züchter wurde Letzterer allerdings eher ungeplant. Diese Sparte verlief zwar nicht immer ganz so erfolgreich aber unsere Emma, die den Derby-Sieger Isfahan stellte, Il Divo, der schon seit einigen Jahren als Warmblut-Beschäler seinen Dienst tut oder Incantator, der es zu Blacktype und einem Top-Jahres-GAG von 94kg brachte, war schon ein echter Glücksfall. Aktuell ist ihre Tochter Izzy im Moment die einzige Mutterstute in den rot/grünen Farben. Sie soll im Februar in Irland ein Fohlen von Gleneagles auf die Welt bringen und danach von Crystal Ocean gedeckt werden bevor es wieder zurück nach Ravensberg geht.
Natürlich hätte dieses Jubiläumsjahr auch besser laufen können – was man allerdings wahrscheinlich von jedem Jahr sagen kann – aber insgesamt lief es gar nicht so schlecht. Höhepunkt war auf jeden Fall Toskana Belle's Sieg in der Diana aber nicht nur deshalb weil es so ein bedeutendes Rennen ist. Bei diesem Erfolg hat einfach auf den Punkt genau alles gepasst – Vorbereitung, Rennverlauf, Jockeyship des Reiters Kerrin McEvoy und eine Toskana Belle, die ihr ganzes Herz in die Waagschale warf und so diesen Sieg möglich machte. Habana's Sieg im Zukunftsrennen sorgte ebenfalls für viel Freude. Zweimal war man in der Vergangenheit schon mit der 1 vorne hochgezogen, wurde aber anschließend disqualifiziert, bis es dann dieses Jahr endlich klappte. Aber es sind nicht nur Blacktype-Rennen, die einem in Erinnerung bleiben, es gab auch genug andere „kleinere“ Rennen, die einen richtig freuten. Sei es weil der Besitzer in der Vergangenheit nicht gerade von Erfolg verwöhnt gewesen war, ein Pferd in dieser Minute über sich hinauswuchs oder der Sieg einem besonders gutem Ritt seines Reiters zu verdanken war.
50 Jahre in diesem Sport zu bestehen ist aber auch nur mit treuen und engagierten Weggefährten möglich und damit sind nicht nur Mitarbeiter, unsere Jockeis und Besitzer gemeint, sondern auch Tierärzte, Schmiede oder Transporteure. Einfach all jene, die in den letzten Jahrzehnten mit ihrem Tun dafür gesorgt haben, dass sich das Rad weiterdreht. Und genau all jenen, die den Trainer schon so lange loyal begleiten oder begleitet haben, gilt an dieser Steller sein großer Dank.
Jede Zeit hatte ihre Probleme und jedes Mal fragte man sich, kriegen wir das wieder hin? Man hat es wieder hingekriegt und es kamen dann durchaus auch längere Phasen, in den alles wie am Schnürchen lief. In den letzten Jahren allerdings hatte man den Eindruck, die Einschüsse würden in immer kürzeren Abständen einschlagen und Themen wie die stark gestiegenen Kosten für die Verpflegung der Pferde, den gesamten Unterhalt eines Betriebes, Wettumsätze, Rennpreise, übergriffige Rennsport-Gegner und das große Problem an qualifizierte und loyale Mitarbeiter zu kommen, hängen einem schon fast wie ein ständiges Damoklesschwert über dem Kopf.
Diese Renntage, an denen man die schon fast ausgelassene Stimmung der Zuschauer spüren kann, Menschen, die nicht nur permanent meckern sondern versuchen mit viel Engagement ihrem Verein zu neuem Glanz zu verhelfen, Besitzer, die das Gefühl vermitteln, dass sie sich bei uns gut aufgehoben fühlen, Mitarbeiter, die über den Tellerrand hinausschauen und jeden Tag wieder anzumerken ist, dass ihre Arbeit eine Berufung und nicht nur ein Job ist, Pferde, die mit ihren unterschiedlichen Charakteren immer wieder neue Geschichten erzählen – gäbe es all das nicht, könnte einen alles andere schon sehr zermürben. Aber Gott sei Dank, kommt dann doch immer wieder zum richtigen Zeitpunkt das richtige Erlebnis, das einen mit genug Herzblut weitermachen lässt.
Für uns ganz persönlich wird die Saison 2022 leider auch immer mit dem Verlust von Lacento in Verbindung stehen. Wir betreiben unsere Zucht nicht im klassischen Sinn professionell und die Stuten gehen eher zu Hengsten, die dem Trainer als Rennpferd gefielen oder ihm sympathisch sind und nicht zu denen, die am Markt gerade aktuell sind. Und so haben alle unsere Fohlen auch immer eine sehr „persönliche Note“. Sprich, sie sind nicht nur einfach Produkte einer Mutterstute, sie sind fast so was wie unsere Kinder und wenn man so ein Fohlen von Geburt an begleitet, tut deren Verlust dann auch schon sehr weh.
Um auch die kommende Saison wieder mit dem nötigen Elan angehen zu können, befindet sich der Trainer momentan im wohlverdienten Urlaub und knattert mit Rucksack und Moped die vietnamesische Küste entlang. Man kann nur hoffen, dass er sich hierbei geschickter anstellt als bei Überholmanövern auf der Kartbahn oder dem Andocken landwirtschaftlicher Maschinen und mit heilen Knochen wiederkommt. Wir anderen sorgen derweil am Stall dafür, dass bis zu seiner Rückkehr alles flutscht und freuen uns dann gemeinsam auf das, was da kommen möge.
Dank an alle, die in der vergangenen Saison mitgeholfen haben, dass es den Pferden gut geht und Rennstall Wöhler auch im 51.Jahr begleiten werden. Unseren Lesern wünschen wir einen schönen Jahreswechsel und bleiben Sie dem Sport wohlgesonnen!