Herbert Kahrs
ehem. Gestütsleiter Fährhof
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Ein (Berufs-)Leben für den Fährhof
von Frauke Delius
Quelle: Turf-Times vom 23.06.2011
Natürlich gibt es diesen besonders leckeren Butterkuchen, den aus der örtlichen Bäckerei Holste in Sottrum. Den kennt jeder, der schon einmal auf dem Fährhof zu Gast sein durfte. Dazu gibt es Kaffee. Jacobs Kaffee. Und wir sitzen im Büro des Gestüts Fährhof an dem schweren Eichentisch, „den vier starke Männer nicht wegtragen können“, meint Herbert Kahrs, und der muss es wissen, schließlich ist er seit dem 1. April 1970 auf dem Fährhof. Hat dort als Lehrling angefangen und sitzt seit mehr als drei Jahrzehnten in der Position des Gestütsleiters mit an dem Tisch, an dem die Deckpläne besprochen werden. „Das haben wir immer im Team gemacht“, erinnert sich Kahrs, „das war schon mit Walther J. Jacobs, dem Gestütsgründer, so und das hat sich bis heute nicht geändert“. Jetzt hört Herbert Kahrs auf, mit 63 Jahren.
Morgen gibt es eine Abschiedsfeier für ihn, mit Dr. Andreas Jacobs als Stiftungs-Vorstand, allen Fährhof-Mitarbeitern und den Kollegen der anderen Gestüte. „Am 1. Juli bin ich dann ganz weg“, sagt Kahrs, und kann es selbst wohl noch nicht wirklich glauben. Aber es ist sein eigener Wunsch zu gehen, auch wenn es schwerfällt. „Ich bin jetzt 41 Jahre hier und bin noch einigermaßen fit“, so Kahrs, „jetzt ist es Zeit, für Jüngere Platz zu machen.“
Dass wir extra für ihn angereist sind, ist ihm unangenehm, „das“, so Kahrs, „wäre doch nun wirklich nicht nötig gewesen“. Er ist einer, der nicht gerne im Mittelpunkt steht. Nach langem Suchen finden wir nur wenige offizielle Bilder von ihm, eines zeigt ihn mit Walther J. Jacobs und Acatenango nach dem Derbysieg 1985. Und wir hätten kein besseres finden können, denn das zeigt das Pferd, das ihn in all den Jahren am meisten beeindruckt hat, „dem habe ich auf die Welt geholfen, der war ein echter Pascha als Jährling, ein tolles Rennpferd, ein herausragender Vererber und ein Pferd, das einen immer gefordert hat, ich war bei auch bei ihm, als wir ihn nach einer Verletzung im Alter von fast 23 Jahren hier auf dem Fährhof einschläfern mussten“, erinnert sich Kahrs, „so was geht einem an die Gräten, aber auch davor darf man nicht weglaufen, das gehört bei der Arbeit mit Pferden dazu.“
Natürlich ist auch dem Galopper der Jahre Jahre 1985 bis 1987 ein Gedenkstein gewidmet, „das haben seine Fans gefordert, wir mussten so etwas machen“. Acatenangos Stein steht an dritter Stelle, nach dem seines Großvaters Literat („den hat Fährhof vom Gestüt Rösler gekauft“), dem Stamm-Vater der erfolgreichen Fährhof-Zucht, ihm folgt der Literat-Sohn Surumu, schließlich dessen Sohn Acatenango und der im letzten Jahr verstorbene Lomitas, ebenfalls ein Surumu-Enkel. Jeder dieser Namen steht für eines dieser ganz besonderen Kapitel in der erfolgreichen Fährhofer Vollblutzucht, die Herbert Kahrs fast von Anfang an miterlebt hat.
Sabiango, den er uns als einen der beiden derzeit im Gestüt Fährhof stationierten Deckhengste vorführt, gehört natürlich auch dazu: er ist Acatenangos erfolgreichster Sohn und „sein Ebenbild“. Ein echter Fährhofer, der auf der Rennbahn fortgesetzt hat, was sein Vater vierjährig mit seinem Gr. I-Sieg im Grand Prix de Saint Cloud begonnen hatte. Zu Acatenangos Zeiten waren solche Auslandsstarts noch die Ausnahme, heute sind sie für die Top-Pferde die Regel. Nach Lomitas waren es vor allem dessen Sohn Silvano und eben Sabiango, die zu vierbeinigen Weltstars wurden. Kahrs hat sie alle aufgezogen und mit zur Welt gebracht, auch die vier Fährhofer Derbysieger: Surumu 1977 (damals noch unter dem Gestütsleiter Helmut von Maltzahn), dann kamen unter der Kahrs-Ägide Lagunas 1984, ein Jahr später Acatenango und schließlich 1996 Lavirco, auch er ein Surumu-Enkel, „der bisher letzte Derbysieger für das Gestüt Fährhof, den hat auch Walther J. Jacobs noch erlebt“, erinnert sich Herbert Kahrs. Es sind die ganz großen Fährhofer Zeiten, nach denen wir ihn fragen, und ein bisschen Wehmut schwingt in seinen Antworten bei allem Realitätssinn doch mit: „Die Galoppsportwelt in Deutschland ist eben doch eine andere geworden.“
Kahrs kommt aus der Gegend, ist 12 Kilometer vom Fährhof entfernt als zweiter Sohn auf einem Bauernhof groß geworden. „Pferdeverrückt war ich schon von Kind an“, erzählt er, „nach einer Landwirtschaftslehre und der Bundeswehr stand ich mit 22 Jahren vor der Frage, was ich machen soll, da der elterliche Hof ja nach alter Tradition an den ältesten Sohn geht.“ Der Tierarzt Hermann Sackmann war es, der mit dem Satz „komm mal mit nach’m Fährhof“, die Weichen stellt. „Wir haben da auf der Futterkiste gesessen“, erinnert sich Kahrs, „als Walther J. Jacobs vom Reiten zurückkam. Wir haben uns unterhalten und noch am selben Tag alles klargemacht. Per Handschlag."
Damals stand alles noch ganz am Anfang. Erst sechs Jahre zuvor hatte Tristan 1965 für den ersten Sieg in den gelb-schwarzen Farben gesorgt. Die Vollblutbegeisterung von Walther J. Jacobs, der als Hobbyyzüchter für Warmblutpferde auf dem Fährhof begonnen hatte, war noch ganz frisch. „Damals gab es nur ein kleines Fachwerkhaus mit zwei Reitpferden, eine Reithalle und einen Spring- und Dressurplatz“, erinnert sich Kahrs, „in dem Stammhaus sind die ersten Abfohlboxen gebaut worden“.
Dort ist jetzt das Büro, in dem wir sitzen – mit den alten Möbeln von Walther J. Jacobs aus Bremen, den alten Ölbildern der großen Fährhofer an den Wänden und dem Butterkuchen auf dem Eichentisch. Und dann ist da noch das große Bild des Gestütsgründers Walther J. Jacobs auf dem Schreibtisch, der Mann, der beweisen wollte und bewiesen hat, dass man auch in Norddeutschland erfolgreich Vollblutpferde züchten kann: auf Sandböden mit Birken. 1992 – sechs Jahre vor seinem Tod – hat er die Stiftung Gestüt Fährhof gegründet und seinen Enkel Dr. Andreas Jacobs zu seinem Nachfolger bestimmt. Damit war der Erhalt des Gestüts sichergestellt, auch wenn sich sonst vieles zwangsläufig ändern musste.
„Eine Stiftung muss sich selbst tragen und finanzieren“, so die Erklärung, „während früher die Fährhofer in den eigenen Farben liefen, so sind heute alle Hengste auf dem Markt.“ Vielleicht liegt es auch daran, dass die Fährhofer Erfolge nicht mehr so präsent sind wie früher. „Denn“, so bedauert Kahrs, „wer ahnt bei einem Pferd namens Zazou, immerhin in 2010 Derbyzweiter, dass er im Gestüt Fährhof gezüchtet wurde? Die Zeiten in denen man die Fährhofer schon am Namen erkannt hat (sie wurden immer nach Kaffeeländern und ~regionen benannnt, Anm. der Redaktion), sind leider vorbei, seit die Jährlinge noch namenlos auf den Auktionen verkauft werden.“
Und in der Rückschau schwärmt Kahrs natürlich besonders von "seinem" Acatenango, für den schon bei der Anmeldung 12 000 Mark bezahlt werden musste – „egal, ob eine Stute hinterher tragend war oder nicht, die erste Rate war weg und die Liste trotzdem voll.“ 25 000 Mark hat Acatenango damals gekostet. Sein Sohn Sabiango kostet anno 2011 ein Bruchteil dessen und hat gerade mal 20 Stuten gedeckt. „Aber so ist die Realität in Deutschland derzeit“, räumt Kahrs ein, „die Zeiten, in denen wir allein durch das Deckgeschäft schwarze Zahlen geschrieben haben, sind vorbei.“ Die Zeiten von Surumu, Acatenango und Lomitas eben.
Geblieben ist indes das hohe Maß an Beständigkeit im Gestüt Fährhof. „Das war und ist stets eine große Fährhof-Familie“, schwärmt Kahrs, „die Leute, die hier arbeiten, bleiben lange.“ Vertrauen, Loyalität, Bodenständigkeit, Disziplin – das habe Walther J. Jacobs ausgezeichnet, „er war immer um Punkt fünf vor vier aus seinem Büro in Bremen da, auch wenn Stau war.“ Was er selbst vorgelebt hat, habe er auch von seinen Mitarbeitern erwartet. In Herbert Kahrs hat er dabei einen Seelenverwandten gefunden. Norddeutsch, diszipliniert und pferdeverrückt. Beide waren die zweitgeborenen Söhne auf einem Bauernhof und mussten einen eigenen Weg gehen. Der Lehre folgten zwei Jahre später die Prüfung als Gestütswärter und drei Jahre später die Meisterprüfung. 1980 wurde Herbert Kahrs Gestütsleiter. „Er war stets ein fairer Chef“, sagt der Hengstwärter Rudi Holzner, der immerhin auch schon elf Jahre in Sottrum ist, über seinen Gestütsleiter. Und schon das ist Herbert Kahrs zu viel. Das wird bei der Abschiedsfeier nicht leicht für ihn werden.
„Seinen“ Fährhof und die Pferde zeigt er dagegen gerne her: „In meiner Zeit hat sich die Fläche auf jetzt 160 Hektar in den drei Betrieben – dem Gestüt, dem Jährlingsstall in Haberloh und der Trainingsanlage - verdoppelt“, heißt es nun doch mit einigem Stolz. Die guten Kontakte von Herbert Kahrs zu den Landwirten in der Region mögen dabei sicher nicht unwesentlich geholfen haben, dass es jetzt vom Stammhaus bis zum 2,5 Kilometer entfernten Bahnhof auf einer Straßenseite ein zusammenhängendes Fährhof-Areal gibt. „Viel beobachten und sich das Beste raussuchen“, sei stets seine Maxime gewesen, nach Darley-Vorbild seien so auch auf dem Fährhof Einzelgehöfte mit eigenen Zufahrten entstanden , „damit die Mitarbeiter mit den Pferden nicht so weit laufen müssen und man die einzelnen Gruppen besser trennen kann.“
Weit hat er es auch zu seinem Zuhause nicht. Schon 1976 haben sich Herbert Kahrs und seine Frau Karin mit den beiden Kindern Olaf und Claudia ein Haus direkt neben dem Fährhof gebaut, nur ein Meter ist es bis zum ersten Koppelzaun des Gestüts. Trotzdem hat er seine eigenen züchterischen Aktivitäten stets klar getrennt vom Fährhof. Seine beiden Mutterstuten Hosea, „die bekommt jetzt ihr Gnadenbrot“, und Hosina, „die hat ein Fohlen von Königstiger“, stehen immer auf denen eigenen Koppeln neben seinem Haus, die Jährlinge gehen zu Bernd Schöne ins benachbarte Lünzen. Immerhin zwei Derbystarter (Hansom und Harar) und ein Gruppe-III-Sieger stehen in Kahrs züchterischer Erfolgsbilanz. (Nachtrag: Hoseo steht 2011 doch eher überraschend auch im Starterfeld des IDEE 142. Deutschen Derbys, Anm. der Redaktion) Bisher war es an Ehefrau Karin, sich um die eigenen Pferde zu kümmern, weil Herbert Kahrs immer schon ab 6 Uhr morgens für den Fährhof im Dienst war, „jetzt kann er mir helfen“, heißt es „da ist viel liegen geblieben“. Ein neues Hobby ist auch schon anvisiert: Kutsche fahren. Dafür ist die Pferdeherde bereits um eine Schwarzwälder Stute namens Mona erweitert worden, deren fünf Monate altes Hengstfohlen Wido eine echte Herausforderung ist. Nur die Kutsche fehlt noch, „die hat acht Wochen Lieferzeit.“ Dann gibt es da noch die beiden Enkeltöchter, die mehrmals in der Woche zu Besuch sind.
Trotzdem geht Herbert Kahrs mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Erstmal, so heißt es, müsse er mit allem fertig werden. Solange habe er den Fährhof mit aufgebaut und über all die Jahr so geführt, als wenn es der eigene wäre. Da fällt der Abschied schwer. Nie habe er mehr als ein paar Tage gefehlt, nur einmal im letzten Jahr wegen einer Meniskusverletzung, und auch die Urlaube habe er immer nur so tageweise „weggekleckert“. Es war halt immer was zu tun auf dem Fährhof. Jetzt aber werde er mit der ganzen Familie mal richtig Urlaub machen. In Dänemark. Über seine Antwort auf die Frage, wie lange denn der erste Urlaub im Ruhestand dauert, muss er am Ende selber lachen: „Eine Woche!“
Ein Vision ist nicht in Erfüllung gegangen, „ich habe immer gehofft, dass sich die großen Züchter zusammentun und zwei, drei richtig gute Hengste in Deutschland aufstellen“, so Kahrs, „so einer wie Shirocco hätte hier bleiben sollen.“ Angesichts des hohen Alters der guten deutschen Deckhengste wie Monsun und Lando, sei dieser Wunsch aktueller denn je, auch Tiger Hill sei vorerst nur für ein Jahr gepachtet und im Gestüt Fährhof aufgestellt. Er halte nicht viel davon, so viele Stuten ins Ausland zu schicken, „ein unglaublich hoher Kostenapparat und eine Belastung für die Pferde“ und lobt den Mut von Züchtern wie Gerhard und Ralf Kredel als Leiter des Gestüts Etzean, „auch ihre besten Stuten zu den jungen Hengsten zu geben“. Nur so hätten die eine Chance sich durchzusetzen, schließlich habe es auch bei Monsun eine Weile gedauert, bis er als Vererber richtig erfolgreich war. „Vielleicht“, so heißt es rückblickend, „haben wir auch einen Lavirco zu früh weggeben …“ Vielleicht gäbe es sonst noch einen Gedenkstein mehr auf dem Fährhof.
Dann sagt er noch den einen Satz, den sich die deutsche Vollblutzucht und damit auch das Gestüt Fährhof möglicherweise ganz dick in die Stammbücher schreiben sollte: „Wir müssen aufpassen, dass wir die guten Steherstuten nicht kaputtzüchten. Denn diese alten Stammstuten stellen den Wert der deutschen Vollblutzucht in der Welt dar. Aktuelles Beispiel dafür ist der Sieg von Animal Kingdom im Kentucky Derby, er stammt aus der Acatenango-Stute Dalicia!"
Herbert Kahrs im Ruhestand ist schwer vorstellbar. Noch ist er unentschlossen, ob er wie die 40 Jahre zuvor zum Derby kommen wird. Zwar ist mit Silvaner ein Starter aus der Fährhofer Zucht dabei, aber „das Schicki-Micki auf der Rennbahn ist nicht so meine Sache“, räumt er ein, zudem habe er ja immer auch die Aufgabe gehabt, mit den Kunden zu reden, so dass er oft kaum dazu gekommen sei, die Rennen zu sehen.
Der Nachfolger von Herbert Kahrs steht auch steht fest: Stefan Ullrich, der bisher für den Jährlingsbetrieb in Haberloh zuständig war. Seine Nachfolge dort wird Christina Müller antreten, die 2002 vom Gestüt Schlenderhan auf den Fährhof wechselte und dort ebenfalls ihre Meisterprüfung absolviert hat. Soweit ist alles geregelt. Und morgen wird es dann wieder den berühmten Butterkuchen geben. Zum Abschied von Herbert Kahrs. Nach 41 Jahren. Ein ganzes Berufsleben lang.
„Herr Kahrs steht für Disziplin, norddeutsche Bodenhaftung, viel Instinkt und Gefühl, sowie für Passion und Liebe zu Tieren, insbesondere zu Pferden. Und dabei nicht nur für schwarz-gelbe! Für ihn war seine Jugend kein leichter Weg, weshalb der Fährhof für Herrn Kahrs ein zuhause wurde und wo er sich über 41 Jahre mit Herz und Verantwortung eingebrachte. In seiner Zeit als Gestütsleiter blühte der Fährhof mit Surumu, Acatenango und Lomitas auf. Wir sind ihm zu grossem Dank verpflichtet.“
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